Aller Guten Dinge sind…

Gegen 17 Uhr und damit kurz nach Dienstschluss sass ich neulich noch im Wartebereich des Spitals. Ich beobachtete dabei zufällig die Ankunft eines Autos, aus dem eine junge Frau ausstieg. Die Frau war offensichtlich schwanger, was in Kamerun überhaupt nicht ungewöhnlich ist, ich wandte mich daher schon fast wieder meiner Lektüre zu, wäre nicht genau in diesem Augenblick eine zweite Frau mit einem Säugling auf dem Arm ebenfalls ausgestiegen. Das Trio steuerte gemeinsam ziemlich zielsicher den Gebärsaal an.

Viel Zeit um über diese Situation nachzudenken blieb nicht, denn ziemlich bald tauchte jemand auf, der mir erklärte: „Doc, they need you in the maternity!“ Man muss an dieser Stelle erwähnen, dass praktisch alle Geburten hier nicht ärztlich begleitet werden und man üblicherweise erst am Morgen erfährt, was in der Nacht im Gebärsaal los war. Wenn der Gebärsaal aber doch nach dem Arzt ruft, ist meistens etwas gar nicht gut.

Die Patientin lag auf dem Gebärtisch, die Nabelschnur hing noch heraus, das mitgebrachte Baby wurde gerade gewogen, 2400g. Eine Hausgeburt demnach. Man erklärte mir, dass das Baby gegen 08 Uhr auf die Welt gekommen sei (also 9 Stunden zuvor). Während ich gerade mein Erstaunen äusserte, erfuhr ich, dass das noch nicht alles ist: Das andere Baby war noch drin! Und dass es überhaupt noch ein anderes Baby gab, hatte die Hebamme gerade erst beim Abtasten herausgefunden. Die Patientin hatte nämlich leider keine Geburtsvorbereitung besucht. Fünf Kinder hatte die Patientin bereits, mit dem zu Hause geborenen Baby sollten es eigentlich sechs sein. Nun war die Zahl drauf und dran sich auf sieben zu erhöhen…

Das Blut der Patientin wurde zwar schon langsam etwas knapp (Afrikanische Definition! Gemäss europäischer Definition hatte die Patientin bereits VIEL zu wenig Blut), aber die Herztöne des zweiten Babys waren kräftig und in gutem Tempo, so dass wir uns zu einem medikamentösen Einleitungsversuch entschieden. Dies nicht zuletzt auch auf Wunsch der Patientin, die sich bereits fragte wie sie ein Kind mehr als gedacht wohl würde ernähren können. Die Kosten für einen Kaiserschnitt sind nämlich derart existentiell hoch, dass manche Familien ihn noch nichtmal ganz abbezahlt haben, wenn bereits das nächste Baby kommt.

Nach zwei Stunden klingelte dann das Telefon, die Hebamme hatte in der Zwischenzeit bereits das Doppelte der von mir verordnete Menge verabreicht und ich wurde informiert, dass die Herztöne zwar noch immer gut seien, ausser Blut aber überhauptnichts herauskomme. Ich machte ich mich auf den Weg ins Spital und überlegte mir, wie ich der Frau wohl die Notwendigkeit eines Kaiserschnitts näherbringen könnte. Im Gebärsaal angekommen, war die Hebamme bereits dabei, den Boden zu wischen. Nachdem sie vom Telefon zurückgekommen sei, sei plötzlich alles so schnell gegangen, dass sie nicht mehr dazu gekommen sei, mich nochmal anzurufen. Die Babys seien beide wohlauf, 2200g und 1800g. Während ich die zum Glück nicht mehr wesentlich blutende Frau untersuchte, fiel mir auf, dass man mir kurz nach Eintreffen der Patientin mit dem Baby ein Gewicht von 2400g genannt hatte… „Ja, Doc. Das war das ERSTE Baby, die anderen BEIDEN sind 2200g und 1800g…?!?“

Als ich diese drei Zahlen im Kopf addiert hatte, wurde mir vor Ehrfurcht trotz 30°C und 90% Luftfeuchtigkeit eiskalt. Und der Patientin kamen die Tränen: Schon mit einem Kind mehr wäre es eigentlich endgültig genug gewesen, aber mit drei Babys mehr sind es insgesamt schon acht. Und alle möchten gerne etwas essen und zur (kostenpflichtigen) Schule gehen.

Von diesen Bedenken liess sich die komplette gehfähige Belegschaft des Spitals aber nicht abhalten, ob diesem seltenen Ereignis laut zu singen und sich über die Drillingsgeburt zu freuen. Der Vater, der hier bei einer Geburt grundsätzlich nie dabei ist, hat von dem grossen Wurf allerdings erst am nächsten Tag erfahren…
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